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Die Psyche während der Schwangerschaft

Bis zu 20 Prozent der werdenden Mütter sind von einer Depression und bis zu 25 Prozent von Angststörungen betroffen, 24 Prozent der Schwangeren leiden unter somatoformen oder dissoziativen Störungen. Und weitere Frauen sind von anderen psychischen Auffälligkeiten betroffen, die nicht immer pathologisch eingestuft werden müssen oder von denen sie oftmals nicht berichten.


Wird eine Frau schwanger, befindet sich der Körper in einer starken Veränderungsphase.

Der Progesteronspiegel steigt um das 10- bis 15-fache an und auch der Östrogenanstieg ist so immens wie nie mehr im restlichen Leben der Frau. Dies hat laut Studien u.a. Auswirkungen auf Herzleistung, Blutvolumen, Resorption von Nährstoffen im Darm und Stoffwechsel der Frau. Jedoch beeinflussen Hormone nicht nur die körperlichen Vorgänge, sondern vor allem auch psychische Prozesse der Frau.

Nicht nur, dass sich die Frau täglich bewusst ist, dass ihr Kind in ihr heranreift und sich die Frau von heute bewusst bewegen, ernähren und verhalten möchte. Dieses Bewusstsein und gesellschaftliche Ansprüche können bei Zeiten auch verunsichern, verängstigen und die Stimmung herabsetzen. Genau hier braucht es dann intensive Betreuung, die zwar seitens des Partners, Freundinnen, der eigenen Mutter oder von Nachbarn übernommen werden kann, aber ebenso wie eine umfangreiche, professionelle Begleitung von Hebammen und Gynäkologen oft nicht ausreicht. Meine klinische Erfahrung zeigt, dass schwangere Frauen oftmals mit ihren Gefühlen allein sind, schwer negative Emotionen verbalisieren oder gar ihre Angst/ Niedergeschlagenheit angemessen einordnen können. Vielmehr wird eine Schwangerschaft, laut Gesellschaft und im Allgemeinen, als positive Zeit gesehen. 


Was passiert aber bei einer derartigen Hormonumstellung im Gehirn einer Frau und was macht es mit Ihrem alltäglichen Verhalten?

Hormone sind verantwortlich für unseren Zellstoffwechsel und unser Energiegleichgewicht, d.h. sie sorgen für die optimale Verwertung von Nährstoffen und deren Gleichgewicht. Sie halten alle Körper- und Zellfunktionen aufrecht und regulieren unseren Wasserhaushalt. Hormone sind verantwortlich für unsere allgemeine Gesundheit. Sie aktivieren unsere Abwehrkräfte, wenn wir (emotional) gestresst sind, wir Hunger, Durst, Kälte, Hitze oder Krankheiten durchleben. Weiterhin sind Hormone für unser Wachstum und unsere Entwicklung, heißt Muskeln, Knochen, Gewebe, verantwortlich. Und last but not least spielen Hormone eine wichtige Rolle für unsere Sexualität und Fortpflanzung. Letzteres bedeutet nicht nur die Herstellung unserer fruchtbaren Ei- bzw. Samenzellen -auch die Versorgung des Kindes im Uterus wie auch die Regulierung des Geburtsvorgangs und die Milchproduktion spielen eine immense Rolle. 

Kurzum: Hormone haben einen enorm starken Einfluss auf die Psyche.

Dies liegt nicht zuletzt daran, dass unsere Sexualhormone in abgewandelter Form auch als Neurotransmitter fungieren können. Progesteron in Form von Allopregnanolon gilt z. B. als das körpereigene Antidepressivum und hat dadurch einen deutlichen Einfluss auf unsere Stimmung. Haben wir jedoch zu viele Hormone im Körper, führt dies nicht zu einem Anstieg der Stimmung, im Gegenteil führt es zu Konzentrations- und Schlafstörungen, gedrückter Stimmung, Interessen- und Freudlosigkeit, Antriebshemmung, Schuldgefühlen oder einem verminderten Selbstwertgefühl. 

Eine sehr interessante Studie (Hoekzema, 2017) zeigt, dass es während der Schwangerschaft zu einer leichten Volumenabnahme in dem präfrontalen und des temporalen Cortex kommen kann. Diese Hirnareale sind für soziale und kognitive Leistungen zuständig. Bei den Vätern und den anderen Kontrollgruppen, die keinen hormonellen Veränderungen unterworfen sind, wurde die Volumenabnahme nicht beobachtet. Diese Abnahme besagt nicht, dass ein Verlust von Hirnzellen auftritt, sondern vielmehr, dass die Hormone eine Reorganisation der Nervenverbindungen bewirkt haben, ähnlich wie in der Pubertät. Aktiver seien laut MRT Diagnostik eben genau diese Hirnregionen. Der präfrontale Cortex ist u.a. zuständig für die Handlungssteuerung, Planung künftiger Handlungen, Planung von Handlungen, die nicht unmittelbar ausgeführt werden und das Lösen neuer Probleme anhand bereits gemachter Erfahrungen. Der Temporallappen beinhaltet nicht nur das Sprachzentrum (Wernicke-Areal) sondern ist u.a. auch für die Erkennung von komplexen nicht-räumlichen auditorischen und visuellen Reizen zuständig, wie z. B. dem Erkennen von Körperteilen – insbesondere Gesichtern. 

Bei unserem heutigen Wissensstand, Informationsüberfluss und einem Meer an Meinungen, sind Angstzustände bei Schwangeren alles andere als ungewöhnlich. Menschen ängstigen sich meist vor Dingen, die unbekannt und nicht kontrollierbar sind. So kommt es schon im früheren Stadium der Schwangerschaft vor, dass schwangere Frauen von starken Geburtsängsten, den damit verbundenen Schmerzen und Sorgen bezüglich der ersten Zeit mit dem Kind im häuslichen Umfeld berichten. 

Ein Geburtsvorbereitungskurs kann, entweder allein oder mit Hilfe des Partners, helfen, Ängste abzubauen. Primär wird der soziale Kontakt mit weiteren Schwangeren gewährt, ein offener Austausch über Ängste, Probleme und die allgemeine Stimmung und Auffälligkeiten ist möglich und weiterhin werden dort selbstverständlich viele Informationen und praktische Hinweise zur Geburt und zur besseren Bewältigung gegeben.

Auch depressive Verstimmungen in der Schwangerschaft sind nicht selten. Die Patientinnen berichten von häufiger Traurigkeit, verstärktem Grübeln oder innerer Unruhe. So wie Ängste, depressive Verstimmungen, Persönlichkeitsveränderungen oder andere psychische Auffälligkeiten sind diese meist eine Re-Aktion aufgrund der körperlichen Veränderungen und damit einhergehenden psychischen Belastungen, welche sich aus der neuen Situation ergeben, in der sich die schwangere Frau erst einmal zurechtfinden muss.


Merken Sie, dass Ihre Symptome einen Leidensdruck mit sich ziehen, Sie und Ihr Alltag sich verändern, dann suchen Sie Ihren Haus- oder Frauenarzt auf und lassen Sie sich über lösungsorientierte Behandlungsmöglichkeiten beraten.

Auch Ihre Krankenkasse sollte Ihnen gute Auskünfte geben können. Vermeiden Sie es, sich mit ihren Symptomen durch Ihre Schwangerschaft zu „quälen“. So können sich Ihre Symptome manifestieren und später chronifizieren. Für fast jedes Symptom gibt es eine Lösung und Behandlungsmöglichkeit. Eine Depression oder Angst während und nach der Schwangerschaft ist meist gut zu behandeln. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Die gängigste Variante wäre eine Psychotherapie, da während der Schwangerschaft und Stillzeit sehr achtsam mit möglichen Psychopharmaka umgegangen werden muss, da sie nicht nur Nebenwirkungen für die Mutter, sondern vielfach an das Kind - intrauterin und später über die Muttermilch - übergehen können. Mehr als etliche Studien belegen, dass psychotherapeutische Verfahren eine Depression sowie Ängste, Zwänge oder Persönlichkeitsstörungen lindern können. Zusätzlich raten Experten zu körperlichem Training. Aussagekräftige Studien zeigen, dass Sport Beschwerden einer Depression in der Schwangerschaft oder danach verringert. Auch Achtsamkeits- oder Meditationsapps für jede Art von Smartphones können eine Option sein. Weitere Möglichkeiten, wie die Einnahme von Hormonen oder Omega-3-Fettsäuren sowie eine Lichttherapie, Massage, Akupunktur oder Hypnose, können ebenfalls sehr helfen. Lassen Sie sich hierzu von Ihrem behandelnden Haus- oder  Frauenarzt beraten.


Was Sie selbst tun können: 

  • Vielleicht glauben Sie, eine schlechte Mutter zu sein. Das ist unbegründet. Ein Kind bedeutet für jede Frau eine Umstellung und kann zu einer seelischen Herausforderung werden.
  • Trauen Sie sich, mit Ihrer Hebamme, Ihrem Partner oder einem anderen nahestehenden Menschen offen über Ihre Gefühle und Ihre Situation zu sprechen.
  • Nehmen Sie Unterstützungsangebote von Familie und Freunden an, zum Beispiel bei der Kinderbetreuung oder im Haushalt. Das kann Sie entlasten.
  • Eine Depression ist eine Erkrankung wie jede andere auch. Schämen Sie sich nicht, einen Arzt oder Psychotherapeuten aufzusuchen. Es kann hilfreich sein, eine Person mitzunehmen, der Sie vertrauen.
  • Falls Sie Bedenken gegen eine Behandlungsmethode haben, sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder einem Psychotherapeuten über die Vor- und Nachteile.
  • Stellen Sie sich darauf ein, dass eine Behandlung Zeit braucht.
  • Informieren Sie sich über die Erkrankung. Je mehr Sie darüber wissen, umso besser können Sie damit umgehen.
  • Bewegung ist wichtig. Das kann zum Beispiel auch ein Spaziergang sein.
  • Tauschen Sie Ihre Erfahrungen mit anderen betroffenen Frauen aus, zum Beispiel bei Gruppentreffen. 

Quellen:
www.patienten-information.de/kurzinformationen/depression-schwangerschaft-geburt
Hoekzema, E., Barba-Müller, E., Pozzobon, C. et al. Pregnancy leads to long-lasting changes in human brain structure. Nat Neurosci 20, 287–296 (2017). doi.org/10.1038/nn.4458