
5 Jahre Corona
Was bleibt zurück, was haben wir gelernt?
Seit mittlerweile fünf Jahren begleitet uns das sogenannte Corona-Virus und die davon ausgelöste Gefäßerkrankung SARS-CoV-2. Erlebte das Gesundheitssystem und die Gesellschaft im Allgemeinen die ersten Wellen im Rahmen einer pandemischen Notlage umrahmt von zuvor nie dagewesenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens, hat sich der Coronavirus durch eine breite Impfkampagne und eine dadurch entstehende Herdenimmunität zunehmend in eine virale Erkrankung gewandelt, die einer klassische Influenza in Verlauf, Symptomen und Behandlung ähnelt. Die Zeit der Besuchsverbote, erschöpften Intensivkapazitäten und erhöhten Letalität lässt sich jedoch nicht gänzlich abschütteln und bietet viele Gründe, um fünf Jahre nach Beginn der Pandemie zurückzublicken, auf das was war und das was blieb.
An Druck gewöhnt, den Belastungen standgehalten
Interview mit Sarah-Lena Zens, Leitung der Intensivstation am Krankenhaus Landshut-Achdorf.
Link zum Video: https://youtu.be/nUUkAgTyoJQ
-
An Druck gewöhnt, den Belastungen standgehalten
Fünf Jahre Corona: Was bleibt zurück, was haben wir gelernt, Sarah-Lena Zens?
Februar 2020, schreckliche Bilder aus Italien, vor allem aus dem Großraum Bergamo in der Lombardei, gingen um die Welt. Überlastete Krankenhäuser, Staus bestehend aus Leichenwägen, blanke systemische Überforderung und Panik. „Wir hatten uns auf ein Szenario der Katastrophe vorbereitet“, erinnert sich Sarah-Lena Zens, Leiterin der Intensivstation am Krankenhaus Landshut-Achdorf. Die Corona-Pandemie kam und doch trat der Schrecken Wuhans und Bergamos nicht ein. Dennoch türmten sich die Herausforderungen vor den Funktionsbereichen der Gesundheitsversorger. „Als Intensivpflegekräfte sind wir geschult, in diesen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht in den sogenannten Hühnerhaufen-Modus zu verfallen.“ Über den medialen Druck, die fachlichen Lehren und die verlorene Menschlichkeit der Station während der Pandemie berichtet Sarah-Lena Zens nun fünf Jahre nach dem Beginn der ersten Corona-Welle in Deutschland.Was sind die ersten Bilder, die dir durch den Kopf schießen, wenn du an die Hochphasen der Corona-Pandemie zurückdenkst?
Sarah-Lena Zens: Das Gefühl der Unsicherheit und die vielen Schutzmaßnahmen, die unseren Alltag sehr geprägt haben. Wir hatten uns nach den Bildern aus Italien auf einen absoluten Ausnahmezustand vorbereitet. Das hat uns sehr beängstigt, aber Gott sei Dank ist es nicht zu diesem extremen Zustand gekommen.
Im zweiten Schritt: Was bleibt für dich fachlich zurück? Du hattest ja bereits erwähnt, dass sich kein gänzlich negatives Bild eingebrannt hat.
Sarah-Lena Zens: Wir sind es gewohnt, unter Druck zu arbeiten. In der Pandemie mussten wir jedoch zusätzlich stets auf die sich verändernden Vorgaben der Politik reagieren. Das hat uns den Weg durch die Pandemie nicht immer erleichtert. Aus der Pandemie heraus ist aber auch Positives entstanden: Es haben sich Hygienemaßnahmen durchgesetzt, die Prävention ist vermehrt in den Vordergrund gerückt und wir haben gelernt, dynamisch und flexibel auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren. Mit der Pandemie wurde unser Berufsbild auch in den Vordergrund gerückt. Viele hatten zuvor vielleicht falsche Vorstellungen von der Intensivpflege. Wir stehen seitdem deutlich mehr im Fokus, aber auch die Wertschätzung seitens der Patienten und deren Angehörigen hat sich positiv entwickelt.Intensivstationen und Notaufnahmen standen während der Pandemie also besonders im Fokus der Öffentlichkeit: Wie schwer war es für dich und dein Team, sich angesichts der Nachrichten-, Statistik- und Regelflut auf die eigentliche Arbeit, auf die Behandlung der Patienten zu konzentrieren?
Sarah-Lena Zens: Die Situation war herausfordernd, da die Medien mit enormen Schlagzeilen um sich geworfen haben, es wurde viel polarisiert und ein Schwarz-Weiß-Denken wurde etabliert. Wir mussten uns folglich nicht nur um die Patientenversorgung kümmern, sondern gleichzeitig Fehlinformationen ausräumen, die Menschen aufklären und das entstandene Misstrauen abbauen. In dieser Zeit wurde deutlich, wie wichtig ein verantwortungsbewusster Umgang mit Medien ist.Wie menschlich war die Intensivstation zu dieser Zeit noch, ohne die Möglichkeit von Besuchen?
Sarah-Lena Zens: Daran denke ich auch heute noch oft zurück, weil diese Situation für die Patienten und die Mitarbeiter extrem schlimm war. Uns hat das Herz geblutet, weil wir wissen, wie wichtig Bezugspersonen im Krankheitsfall sind. Man benötigt einfach den Kontakt zu vertrauten Personen, um gesund zu werden. Niemand will alleine auf der Intensivstation seine womöglich letzten Stunden verbringen. Entsprechend hat das auch das Team sehr belastet, wenngleich wir stets versucht haben, das Beste aus den Umständen zu machen. Wir haben Videotelefonie angeboten, aber das konnte den persönlichen Kontakt natürlich nicht ersetzen.
Was hat euch konkret gefehlt, um 2020 adäquat auf eine Pandemie vorbereitet zu sein, beziehungsweise entspricht diese Annahme der fehlenden Vorbereitung überhaupt der Wahrheit?
Sarah-Lena Zens: Auf der aktuellen Intensivstation verfügen wir nur vereinzelt über Einzel- und Schleusenzimmer, die zu dieser Zeit vom RKI vorgegeben wurden. Das hat uns vor eine Herausforderung gestellt, die wir aber durch den Umbau der Station in Rekordzeit bewältigt haben. Es wurden Trockenbauwände eingezogen, Schleusenzimmer geschaffen und Schutzkonzepte aufgesetzt. Dieser Zusammenhalt zwischen den Berufsgruppen war während der Pandemie aber allgemein bemerkenswert: Egal ob mit den Trockenbauern, den Ärzten oder den Therapeuten, die interne Kommunikation war sehr positiv. Darüber hinaus konnten wir technisch aufrüsten, haben zusätzliche Beatmungsgeräte erhalten und so auch die Überwachungsplätze hochgerüstet. Man kann aber noch so viel Technik anschaffen, diese muss jedoch auch immer von fachlich qualifiziertem Personal bedient werden. Das fehlte uns 2020 und fehlt auch heute noch.Wäre man im Umkehrschluss jetzt besser vorbereitet? Beziehungsweise inwiefern bietet die neue Intensivstation dann bessere bauliche Vorkehrungsmaßnahmen?
Sarah-Lena Zens: Wir hatten anhand der Erfahrungen der Pandemie die Möglichkeit, die Planung der neuen Intensivstation nochmal nachzujustieren. Es werden Einzelzimmer mit Schleusenmöglichkeit geschaffen, die nicht erst wieder umgebaut werden müssten. Alle Bettplätze können schnell hochgerüstet werden, womit wir uns für künftige Herausforderungen gewappnet haben.Wie schwerwiegend war eigentlich der Personalschwund während und nach der Pandemie?
Sarah-Lena Zens: Während der Pandemie gab es einen nie dagewesenen Zusammenhalt in unserer Berufsgruppe und entsprechend auch niemanden, der gegangen ist. Nachdem die Hochphasen abgeflaut waren, kündigten dagegen einige, für die die Corona-Zeit das i-Tüpfelchen auf die Unzufriedenheit war. Was mir dabei wichtig ist zu betonen: Wenn jemand unzufrieden ist, muss er sich verändern. Es gibt viele andere Wege, Bereiche und Arbeitszeitmodelle in der Pflege und wir brauchen motivierte Menschen, die hinter ihrem Beruf stehen und ihre Arbeit mit Herzblut ausfüllen.
Erzwungene Meister der Improvisation
Interview mit Gunthard Goresch, Ärztlicher Direktor des Krankenhauses Landshut-Achdorf und Chefarzt der Interdiszilpinären Notaufnahmen Landshut-Achdorf und Vilsbiburg.
Link zum Video: https://youtu.be/LzGzGy_HQGA.
-
Erzwungene Meister der Improvisation
Fünf Jahre Corona: Was bleibt zurück, was haben wir gelernt, Gunthard Goresch?
Im Februar 2020 schien der Ernstfall im Krankenhaus Landshut-Achdorf eingetreten: Ausgerechnet am Tag einer internen Personalfeier erschien in der Notaufnahme ein Mann mittleren Alters, der direkt nach seiner Rückkehr aus China mit deutlichen grippalen Symptomen aufschlug. „Die Pflege hat glücklicherweise schnell geschaltet und den Mann sofort isoliert“, erinnert sich Gunthard Goresch, Chefarzt der Interdisziplinären Notaufnahme, noch heute sehr lebhaft an diesen Moment. Die folgenden Stunden waren geprägt von angeregten Diskussionen über das weitere Verfahren: Wie müssen sich die Beteiligten schützen? Wie kann die möglicherweise infizierte Person getestet werden? Die Initiative ergriff dabei Dr. Sieglinde Eder, besorgte den Testträger, telefonierte mit dem Universitätsklinikum Regensburg und brachte den Test noch am selben Vormittag in ihrem Privatwagen dorthin. „Rückblickend war der Patient negativ, aber trotzdem bleibt dieser Fall in Erinnerung“, resümiert Goresch, der ebenfalls als Ärztlicher Direktor des Krankenhauses Landshut-Achdorf fungiert. In der Nachlese auf fünf Jahre Corona spricht er ferner über die enormen Leistungen kleiner Krankenhäuser, die baulichen Veränderungen als Reaktion auf die Pandemie und den fehlenden Lerneffekt in der Gesellschaft.
Was bleibt für dich nach fünf Jahren Corona fachlich zurück?
Gunthard Goresch: Gerade zu Beginn war es eine wilde Zeit. Uns sind wie praktisch allen Krankenhäusern die Materialen ausgegangen, von Schutzkitteln bis hin zu Masken. Wir trugen Reste zusammen, weil nichts mehr lieferbar war und letztlich nähte der Frauenbund aus Rottenburg Masken mit speziellen Filterpapieren als Einlagen. Wir haben diese wasch- und wiederverwendbaren Masken dann verteilt, um für andere Bereiche notwendige Materialen einzusparen. Es war wirklich experimentell, was wir betreiben mussten.Gerade die ersten Bilder aus China oder Italien ließen doch allerdings eine weitaus größere Katastrophe vermuten als die, die letztlich eingetreten ist?
Gunthard Goresch: Jein, es gab schließlich separate Kühlcontainer für Verstorbene an Landshuter Friedhöfen, weil die Kapazitäten nicht ausgereicht haben. Dieser Umstand wurde öffentlich, beziehungsweise medial jedoch nicht wahrgenommen. Zu Beginn waren wir, gerade was die medikamentöse Behandlung betrifft, etwas ratlos. Hier ist insbesondere Dr. Sandra Brenner ein großes Lob auszusprechen, die stets fachlich uptodate war. Generell haben in dieser Zeit viele in ihrem jeweiligen Bereich herausragende Arbeit geleistet, eben beispielsweise auch Dr. Sieglinde Eder mit dem Hygiene-Team. Präklinisch lief die Verknüpfung zwischen den Häusern ebenfalls gut, dies ist vor allem Jürgen Königer, dem Ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes, der quasi dauerhaft erreichbar war, zu verdanken. Unter dessen Zuständigkeit fiel auch die Koordination der Patientenverlegungen nach dem Kleeblatt-Prinzip, wir sprechen dabei über bodengebundene oder per Hubschrauber durchgeführte Verlegungen teilweise in das übernächste Bundesland, weil die Kapazitäten es schlicht nicht mehr hergaben. Auch wir haben Patienten bis nach Hessen verlegen müssen. Die Kommunikation zwischen den Kliniken war in dieser Zeit also wirklich gut. Was mir im Nachhinein wehtut ist der Umstand, dass ebenjene kleineren Krankenhäuser, die während der Pandemie eine enorme Leistung erbracht und entscheidend dazu beigetragen haben, dass diese Zeit relativ glimpflich an uns vorüberging, jetzt politisch infrage gestellt werden.Intensivstationen und Notaufnahmen standen während der Pandemie besonders im Fokus der Öffentlichkeit, gerade die eben angesprochenen freien Intensivkapazitäten waren quasi täglich in den Medien: Wie schwer war es für dich und dein Team, sich auf die Behandlung der Patienten zu konzentrieren, und wie schwer gestaltete sich der Umgang mit diesen?
Gunthard Goresch: Es war ein auf und ab. Es gab natürlich diese Punkte, an denen man von der Gesamtsituation die Schnauze voll hatte. Schließlich gab es auch aus dem Umfeld des Hauses Personen, die schwersterkrankten und viel Glück hatten, glimpflich davonzukommen. Es gab Situationen, über die man sich enorm hätte aufregen können. Fachlich kamen immer wieder hochsymptomatische, positive Patienten, die sich jedoch standhaft weigerten, eine Maske zu tragen. Es wurde entsprechend bewusst in Kauf genommen, Mitarbeiter des Krankenhauses oder andere Patienten anzustecken. Es war teils wirklich schwer, fachlich, sachlich und ruhig zu bleiben.Waren medizinische Einrichtungen aufgrund der Regularien und erhöhten Belastung also auch weniger menschlich und nahbar?
Gunthard Goresch: In der Hochphase haben wir an der Eingangstür Antigen-Tests durchgeführt. Ob das retrospektiv richtig war, weiß ich nicht. Zu dieser Zeit war die Entscheidung richtig. Und es ist auch wahr, dass eine gewisse Vereinsamung bei den Patienten stattgefunden hat, aber man hätte es nicht anders lösen können, ohne andere Patienten einer unnötigen Gefahr auszusetzen. Wir waren häufiger mit Corona-Ausbrüchen konfrontiert, die die medizinische Versorgung abseits der Pandemie ins Schwanken brachten. Man hat sich umstellen müssen, es war für die Betroffenen und deren Angehörigen teils nicht verständlich und nicht schön, aber alleine schon, um die Mitarbeitenden und deren Familien zu schützen, war es in dieser Phase richtig.Du hattest schon beschrieben, an was es gerade in der Phase der Improvisation Anfang 2020 gefehlt hat. Wäre man im Umkehrschluss jetzt, fünf Jahre später, besser vorbereitet?
Gunthard Goresch: Teils, teils. Natürlich wären wir etwas besser darauf vorbereitet, weil wir uns auch in unserer Improvisationskunst geübt haben. 2020 hatten wir in der Notaufnahme nur einen Isolationsraum, diesen ohne Schleusung, der nun bestehende Anbau mit Isolationsmöglichkeiten und Schleusen wurde als Reaktion darauf geschaffen. Das erleichtert uns auch den Umgang mit anderen isolationspflichtigen Krankheiten. Auch in der Lagerhaltung und Beschaffung haben wir dazugelernt, aber würde wieder eine Flut auf uns zukommen, wären die ersten Tage und Wochen wahrscheinlich wieder mit Improvisation verbunden.Ferner ist ja auch völlig unsicher, ob eine nächste Pandemie wieder so glimpflich verlaufen würde.
Gunthard Goresch: Richtig, Corona war besonders zu Beginn eine schlimme Krankheit und viele Leute sind an oder mit Covid verstorben. Alle sieben Jahre erleben wir ferner die wiederkehrende Hochzeit der Influenza, speziell im letzten Jahr war die Welle massiv und ausgeprägt und ich kann aus eigener Erfahrung berichten, dass eine richtige Influenza A auch geimpft gar keinen Spaß macht.Hat die Gesellschaft aus der Pandemie nachhaltig gelernt oder wurde alles (zum Beispiel Händehygiene, Masken bei Erkältung) schon wieder komplett vergessen?
Gunthard Goresch: Gesellschaftlich haben wir wohl relativ wenig bis gar nichts gelernt. Wenn ich beispielsweise die aktuelle Influenza-Saison betrachte, sehen wir weiterhin hochsymptomatische Patienten, die sich wundern oder nicht über die Möglichkeiten einer Impfung Bescheid wissen. Es gibt durchaus Personen, die etwas aus der Pandemie gelernt haben, aber insgesamt scheint der Lerneffekt doch überschaubar.
Kopfsprung ins Ungewisse
Interview mit Jakob Fuchs, Geschäftsführender Vorstandsvorsitzender der LAKUMED Kliniken.
Link zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=baN0ep_WVn4
-
Kopfsprung ins Ungewisse
Fünf Jahre Corona: Was bleibt zurück, was haben wir gelernt, Jakob Fuchs?
Das sprichwörtliche kalte Wasser ist gegenüber dem, was Jakob Fuchs in seiner Anfangszeit als Geschäftsführender Vorstandsvorsitzender der LAKUMED Kliniken erleben musste, wohl sogar noch ein warmes Schwimmbecken. Nur wenige Wochen im Amt sahen sich Fuchs und sein Team einer nie dagewesenen Herausforderung gegenübergestellt, die Corona-Pandemie bot eine Ausnahmesituation für die gesamte Gesundheitsversorgung und gleichzeitig viele Möglichkeiten zum schnellen Verwachsen mit einer neuen Aufgabe. „Was meine Verbundenheit zu LAKUMED nachdrücklich und auch noch heute geprägt hat, ist der Zusammenhalt der Belegschaft – unabhängig ob in Landshut-Achdorf, Vilsbiburg oder Rottenburg. Man hat gemeinsam dafür gekämpft, mit dieser Situation fertigzuwerden und das war eine wunderbare Erfahrung“, verbindet Fuchs in der Nachlese – fünf Jahre nach der ersten Corona-Welle – auch positive Konnotationen mit dieser besonderen Zeit. Im Interview spricht der Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende von LAKUMED ferner über einen verschlafenen Weckruf und wohin uns die aktuelle Umsetzung der Krankenhausreform führen könnte.Was sind die ersten Bilder, die Ihnen durch den Kopf schießen, wenn Sie an die Hochphasen der Corona-Pandemie zurückdenken?
Jakob Fuchs: Ganz zu Beginn, nachdem wir in Deutschland die ersten Fälle hatten und es uns langsam auch in der Region Landshut erwischt hat, wurde alles mit Plakaten und Informationsmaterial zugepflastert. Dieses Bild ist mir noch in Erinnerung geblieben, wenngleich sich die Regeln und damit auch die Plakate immer wieder verändert haben. Natürlich kommt mir aber auch die Omnipräsenz der Masken in den Sinn.Wie schwer war es selbst für Sie als Jurist, den Überblick in den sich stetig erneuernden Regulierungen zur Pandemie zu behalten und diese anschließend verständlich an die Mitarbeitenden zu kommunizieren?
Jakob Fuchs: Ich glaube schon, dass ich den Überblick bewahren konnte. Die große Problematik war auch nicht die Komplexität, denn in der Schnelligkeit des Handelns zu dieser Zeit konnte man Gesetze, Verordnungen und Regeln gar nicht so komplex gestalten. Herausfordernd war eher die Kurzfristigkeit an sich, denn teilweise kamen die neuen Weisungen des Ministeriums nur wenige Tage vor oder sogar am Tag der geplanten Umsetzung. In einem Unternehmen mit knapp 2.300 Mitarbeitenden diese neuen Vorgaben dann an alle schnellstmöglich zu kommunizieren, war dagegen wirklich schwierig.Die mediale Aufmerksamkeit richtete sich während der Pandemie beinahe ausschließlich auf die Gesundheitsversorger. Wie sind Sie diesem Sturm an Fragen begegnet und wie haben Sie versucht, den Mitarbeitenden den Rücken freizuhalten, um die Qualität der medizinischen und pflegerischen Arbeit durch den öffentlichen Druck nicht zu gefährden?
Jakob Fuchs: Wir haben relativ schnell damit begonnen, proaktiv an die Medien heranzutreten und Informationen für Patienten und Angehörige zusammen mit dem Klinikum Landshut und dem Kinderkrankenhaus St. Marien zu kommunizieren. Wir wollten mit einer Stimme sprechen, um bei der Bevölkerung durch Wissen Verständnis zu schaffen und möglichst niemanden vor den Kopf zu stoßen.Gerade die Besuchsrechte mussten zu dieser Zeit deutlich eingeschränkt werden und es wurde einsam um die Patienten. Wie menschlich waren Krankenhäuser oder andere medizinische Einrichtungen zu dieser Zeit eigentlich noch?
Jakob Fuchs: Es gab schwierige Situationen. Wir haben versucht, das Beste aus dem jeweiligen Rechtsrahmen zu machen. Orientiert an unseren Grundrechten gab es beispielsweise stets die Regelung, dass die Begleitung Sterbender zulässig ist. Hier durften wir immer großzügige Ausnahmen aussprechen. Dennoch gab es auch Situationen, in denen uns schlicht die Hände gebunden waren, in denen unsere Mitarbeiter die Anwesenheit ihrer Angehörigen irgendwie ersetzen mussten. Nicht in jedem Fall war eine schöne Lösung umsetzbar, aber wir haben uns immer bemüht, den Krankenhausalltag so menschlich wie möglich zu gestalten.Häufig wird der durchaus chaotische politische Umgang mit der Corona-Pandemie auf fehlende Konzepte und Präventionsmaßnahmen zurückgeführt. Würden Sie dieser Analyse beipflichten?
Jakob Fuchs: Einer der Punkte, die das Chaos in den ersten Monaten verursacht haben, waren die abreißenden Lieferketten. Man erhielt keine Masken, kein Desinfektionsmittel. Wir haben uns auf Lieferketten aus dem Ausland verlassen und der Markt im Land hatte diese Ausfälle nicht kompensieren können oder dürfen. Das hätte mit einer gewissen Vorbereitung verhindert werden können. Die Situation mit Covid war aber auch einmalig: Man kann jedes Katastrophenszenario üben und proben, aber jedes reale Szenario ist anders. Ob man bei einer Probe auf genau die Probleme, die dann bestanden, gestoßen wäre, weiß man nicht. Auch für die Politik war vieles neu, die meisten Entscheidungen konnten erst im Nachgang auf ihre Rechtskonformität überprüft werden, aber das war einfach der Dynamik der Situation geschuldet.Im Umkehrschluss dienten die Erfahrungen der Pandemie auch der Bearbeitung fehlerhafter Prozesse. Hatte Corona also in der Nachlese auch was Gutes an sich?
Jakob Fuchs: Die Pandemie hat die Krankenhäuser im Bereich der Digitalisierung ein ganzes Stück vorangebracht und dort einiges beschleunigt. Ferner werden seitdem zwischen den verschiedenen LAKUMED Standorten häufig Videokonferenzen als Mittel der Kommunikation herangezogen. Während der Pandemie wurde die gesamte Lagerhaltung und Materialwirtschaft umgestellt, was allerdings teilweise auch wieder revidiert wurde. Aber natürlich ist man nachdenklicher geworden, was die Aktualität von Einsatzplänen betrifft. Wir haben in einigen Punkten also dazugelernt und wenn eine ähnliche Situation wieder auf uns zukäme, würde man wahrscheinlich routinierter damit umgehen.
Sind wir also nun, fünf Jahre später, besser vorbereitet oder nur routinierter, sollte uns erneut eine Epidemie oder Pandemie heimsuchen?
Jakob Fuchs: Wir haben auch das Problem, dass viele Mitarbeitende während oder nach der Pandemie dem Gesundheitswesen den Rücken gekehrt haben, was sich auch bis heute fortsetzt. Ob wir mit den nun geringeren personellen Ressourcen wieder alle Patienten umgehend und adäquat versorgen könnten, weiß ich aktuell ehrlich gesagt nicht.Kommen wir zu den trockenen Zahlen: Wäre das enorme Defizit, welches die Krankenhauslandschaft in Deutschland jährlich erzielt, auch ohne die Pandemie zustande gekommen? Wenn ja, welche Rolle spielte Corona wirtschaftlich dann überhaupt?
Jakob Fuchs: Die Pandemie hat daran einen überschaubaren Anteil. Wir haben seit vielen Jahrzehnten eine Tendenz zur Verringerung der Verweildauer unserer Patienten, die sich durch Corona sicherlich auch nochmal beschleunigt und fortgesetzt hat. Auch die Ambulantisierung wurde durch die Pandemie sicherlich bekräftigt, was ebenfalls zu weniger belegten Betten führt. Wesentlich ist jedoch, dass Kosten und Erlöse immer weiter auseinanderlaufen. Dieses Phänomen schaukelt sich immer weiter auf. Auf der einen Seite sehen wir Tarifentwicklungen von sieben oder acht Prozent pro Jahr, die Landesbasisfallwerte steigen dagegen um nur vier oder fünf Prozent. Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Neben den Personalkosten, die etwa zwei Drittel ausmachen, bestehen noch Sach- und Betriebskosten, die teilweise jedoch noch deutlichere Kostensteigerungen verzeichnen. Wenn wir diese Kosten nicht wie alle anderen Unternehmen durch höhere Erlöse ausgleichen können, dann kann diese Rechnung auf Dauer nicht aufgehen. Daran ist aber nicht Corona schuld.Hätte die Pandemie entsprechend nicht ein Weckruf für die auskömmliche Finanzierung des Gesundheitssystems sein müssen? Schließlich war die Letalitätsrate in strukturell vergleichbaren, jedoch versorgungstechnisch deutlich schlechter aufgestellten Staaten wie dem Vereinigten Königreich rund doppelt so hoch wie in Deutschland. (0,93 % im UK zu 0,48% in Deutschland)
Jakob Fuchs: Während der Corona-Pandemie hat man immer wieder gehört, dass die kleinen Krankenhäuser und die allgemein hohe Krankenhausdichte uns am Leben gehalten haben. Es gab währenddessen auch Absprachen, um die großen Universitätskliniken zu entlasten. Dadurch konnten alle Corona-Patienten adäquat und vernünftig behandelt werden. Wenn wir die Krankenhausdichte und damit auch Personal reduzieren, wenn wir Betten abbauen, würden wir bei einer erneuten Pandemie nicht mehr so gut reagieren können. Wir machen oft den Fehler, unser Gesundheitssystem mit dem anderer Staaten zu vergleichen, und kommen dabei zum Ergebnis, unseres wäre zu teuer. Man darf aber auch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen: Wir haben ein System, in dem eine werdende Mutter entscheiden darf, wo sie ihr Kind zur Welt bringen möchte, in dem auch eine 80-jährige Dame noch ein neues Hüftgelenk bekommt. Wenn wir uns das leisten wollen, können wir uns nicht mit Ländern vergleichen, die diese Versorgung so nicht haben. Das was während und nach Corona gesagt wurde, hat man leider sehr schnell wieder vergessen.Verkommen wir demnach zu einem zweiten NHS? Strukturell gibt es doch einige Parallelen zur Entwicklung des Gesundheitssystems im Vereinigten Königreich in den 80er und 90er-Jahren.
Jakob Fuchs: Ich will es nicht hoffen. Die Gesundheit ist unser höchstes Gut und viele andere Errungenschaften bringen uns ohne Gesundheit auch nichts mehr. Wenn wir nicht in die Gesundheit investieren, ja wohin denn dann? Wir haben noch den Luxus, ein sehr gutes medizinisches System zu haben. Bauen wir dieses einmal ab, wird es sehr schwer, es wieder zurückzugewinnen. Das heißt jedoch nicht, dass unser Standard perfekt und nicht reformbedürftig ist: Wir brauchen eine Reform, aber man muss genau sehen, wo man ansetzt. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen in der Politik das sehen und wir eben nicht in eine Situation wie im UK zusteuern.Kurz nach dem Antritt Ihrer Stelle 2020 fanden Sie sich inmitten der Corona-Pandemie wieder, nun türmen sich die Krankenhausreform und die Fusion mit den weiteren Landshuter Gesundheitsversorgern vor Ihnen auf. Wie gut schlafen Sie eigentlich noch, seitdem Sie als Geschäftsführender Vorstandsvorsitzender tätig sind?
Jakob Fuchs: Gott sei Dank habe ich einen sehr guten Schlaf. Ich kann sehr viele Dinge in der Arbeit lassen und für diese Gabe bin ich sehr dankbar.
Die Pflege kann und will mitgestalten
Interview mit René Marx, Pflegedirektor der LAKUMED Kliniken.
Link zum Video: https://youtu.be/xuiRTe4UMOM
-
Die Pflege kann und will mitgestalten
Fünf Jahre Corona: Was bleibt zurück, was haben wir gelernt, René Marx?
Zu Beginn der Corona-Pandemie boten sich viele besondere Bilder, bis heute kontrovers verfangen hat sich dabei unter anderem der Balkon-Applaus, den dankbare Bürger an die in der Gesundheitsversorgung Tätigen richteten. „Es entstand der Eindruck, Wertigkeit und Anerkennung würden zunehmen“, erinnert sich auch René Marx, Pflegedirektor der LAKUMED Kliniken und stellt zugleich fest, dass der Pflegeberuf im weiteren Verlauf der Pandemie vorwiegend mittels seiner negativer Facetten dargestellt wurde. Um das entstandene Image aufzubessern und künftig wieder mehr junge Menschen für eine Ausbildung in der Pflege zu begeistern, ergreifen Marx und sein Team mannigfaltige Maßnahmen: Medienarbeit, Praktika und Informationsveranstaltungen in Schulen sind nur ein Auszug der Bemühungen. Doch die Zahlen lügen nicht: „2022 haben wir einen Rückgang der Ausbildungszahlen um sieben Prozent erlebt, 2023 folgte ein Anstieg um drei Prozent, was als großer Erfolg verkauft wurde.“ Wie es demnach wirklich um die Zukunft der Pflege bestellt ist, welch personelle Lücken Corona in den Stellenplan riss und wieso die Akquise ausländischer Fachkräfte unumgänglich ist, erläutert René Marx im Interview.
Was sind die ersten Bilder, die Ihnen durch den Kopf schießen, wenn Sie an die Hochphasen der Corona-Pandemie zurückdenken?
René Marx: Tatsächlich ist bei mir eine sehr angespannte Situation hängengeblieben – beruflich wie privat. Viele Patienten und Angehörige haben unter dieser Situation sehr gelitten. Die für uns Pflegende wichtige Stütze der Angehörigen ist in der Corona-Pandemie weggebrochen, gerade für multimorbide ältere Patienten war dies eine enorme Herausforderung. Parallel haben wir nahezu täglich neue Vorschriften und Regelungen erlebt, die umgesetzt und kommuniziert werden mussten. Kurzum: Es war sehr arbeitsintensiv.Wie würden Sie die allgemeine Situation beschreiben, die Sie bei Ihrer Ankunft bei LAKUMED 2022 vorgefunden haben?
René Marx: Meine Einarbeitung hat im Spätsommer 2022 begonnen, meine Ansprechpartner waren zu dieser Zeit selbst an Corona erkrankt. Ich wurde ins kalte Wasser geworfen und habe mir viele Themen erschlossen. Ich habe erlebt, dass viele ob der langen Zeit der Belastung müde waren, den zunehmenden Wunsch nach Erleichterungen und Normalität, danach, Angehörige wieder in den Behandlungsprozess einbeziehen zu dürfen. LAKUMED musste aber eben auch viele geplante Eingriffe nach hinten verschieben, wodurch sich die wirtschaftliche Situation herausfordernd darbot. Wir mussten in dieser Zeit einen Spagat vollziehen: Auf der einen Seite war den Anforderungen der Pandemie gerecht zu werden, auf der anderen Seite wirtschaftlich wieder aufzuholen.War die Pandemie eher hinderlich oder sogar förderlich für eine schnelle Einarbeitung im neuen Arbeitsumfeld?
René Marx: Ich bin relativ schnell und gut bei LAKUMED angekommen. Die Mitarbeitenden, die mich damals empfangen haben, habe ich als kompetent und sehr persönlich wahrgenommen, auch hinsichtlich meiner Einarbeitung habe ich nichts zu beanstanden. Die Zeit war sehr herausfordernd für uns alle, deshalb schaue ich lieber in die Zukunft und mache mir keine Gedanken darüber, was anders hätte laufen können.Medial und auch politisch wurde häufig die Behauptung aufgestellt, viele Pflegekräfte hätten dem Gesundheitswesen während der Pandemie den Rücken gekehrt. Stimmt das oder war dieser Effekt doch eher nachgelagert?
René Marx: Bei LAKUMED hat die Berufsgruppe Pflege zusammengestanden und durchgezogen. Zur Wahrheit gehört aber natürlich auch, dass der Pandemie nachgelagert viele Pflegekräfte den Beruf verlassen haben, dass Pflegekräfte die Arbeitszeit reduziert und so ihre Konsequenzen gezogen haben. Ich jammere aber nicht gerne, wir müssen uns dieser Tatsache stellen und wollen möglichst zügig wieder alle Pflegestellen besetzen.Sind die entstandenen Lücken mittlerweile wieder adäquat gefüllt worden?
René Marx: Es ist schwierig, die Situation während der Pandemie aufgrund der sich veränderten Gesundheitspolitik mit der jetzigen zu vergleichen. Die Pflegepersonaluntergrenzen wurden wiedereingesetzt, die novellierte Pflegepersonalregelung ist in Kraft getreten, wir sprechen also von einer anderen Personalbedarfsplanung. Wir haben jedoch insbesondere auf der Intensivstation ein Drittel unserer Pflegekräfte verloren, das tut sehr weh. Wir sind zwar auf einem guten Weg, die Pflegestellen numerisch wieder nachzubesetzen, aber es ist eben auch wahnsinnig viel Know-How verloren gegangen. Dies lässt sich anhand der Fachweiterbildung für die Intensivstation/Anästhesie verdeutlichen: Im Idealfall sprechen wir hier von fünf, im Realfall aber zumeist von sechs oder sieben Jahren Ausbildungszeit. Die generalistische Ausbildung dauert drei Jahre, die Fachweiterbildung weitere zwei und dazwischen liegt zumeist auch noch die Erlangung einer gewissen Berufserfahrung. Wir haben schon einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht und doch liegt noch ein weiter Weg vor uns, bis wir den prä-Corona Status wieder erreicht haben.Auf diesem Weg spielen auch ausländische Fachkräfte eine wichtige Rolle. Diese haben allerdings einen langen Weg vor sich, ehe Sie vollständig in die vorhandenen Arbeitsprozesse integriert sind. Ist dieser Weg der Akquise von Fachkräften demnach zu lange verschlafen worden oder war dieser politisch nicht gewollt?
René Marx: Vorneweg: Wir erleben politische und gesellschaftliche Diskussionen, die sehr einseitig geführt werden und zur Polemik neigen. Diese führen auch dazu, dass engagierte ausländische Pflegekräfte mit Fragen wie „Muss ich mir Sorgen machen, abgeschoben zu werden?“ auf die Pflegedienstleitungen oder mich zukommen. Ich kann nur dazu aufrufen, diese Diskussion sachlich zu führen. Nun zur Akquise: Bei meinem Start 2022 gab es bereits entsprechende Projekte, diese wurden relativ zügig intensiviert. Dem vorgeschaltet war allerdings eine Analyse, wie viele Pflegekräfte uns in den kommenden Jahren altersbedingt verlassen werden. Alleine in den Ruhestand scheiden so in den nächsten Jahren rund 160 Pflegekräfte aus, hinzu kommen Erkrankungen, Schwangerschaften oder Kündigungen. Gleichzeitig wissen wir, wie viele neue Kräfte über die Ausbildung bei uns landen, wodurch sich ein Delta ergibt, welches es auszugleichen gilt. Über unseren Partner TripleWin erwarten wir nun 60 neue Pflegekräfte aus dem Ausland, von der Anfrage bis zur Einreise vergehen zumeist jedoch neun bis zwölf Monate, anschließend ziehen aufgrund von Sprachqualifikationen und anderen Prüfungen durchschnittlich weitere 14 bis 15 Monate ins Land, bis eine Anerkennung erfolgt. Wir brauchen die Auslandsakquise, bis in die 30er-Jahre werden deutschlandweit 300.000 Pflegekräfte fehlen.Wären wir angesichts der personellen Lücken 2025 also sogar schlechter aufgestellt als 2020, würde uns erneut eine ähnlich geartete Pandemie treffen?
René Marx: Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir bei einem erneuten Eintreten einer derartigen Situation wieder zusammenrücken würden. Die Pflege tickt so, wenn es drauf ankommt. Es würden politische Entscheidungen, Isolationsregeln und Pflichten jedoch auch deutlich mehr hinterfragt werden.Gibt es für Sie überhaupt einen Weg aus dieser Pflege-Misere und wenn ja, wie würden Sie diesen mittelfristig skizzieren?
René Marx: Es ist meine absolute Überzeugung, dass die Pflege zu wenig gehört wird. Ein Beispiel: Der Gemeinsame Bundesausschuss ist noch immer ohne Pflegebeteiligung. Operativ empfiehlt der Deutsche Pflegerat, die Pflege personell fest in den Vorständen der Kliniken zu verankern. Nur bei einer politischen und operativen Mitbestimmung können die Voraussetzungen für die notwendigen Veränderungen geschaffen werden. Parallel sollte die Pflege konsequent akademisiert werden, das entstandene Know-How muss in der Folge aber eben auch entsprechend abgeschöpft werden, zu nennen ist hier das Pflegekompetenzgesetz. Wir müssen zusammengefasst die bestehenden und kommenden Herausforderungen gemeinsam gestalten und trotzdem weiter positiv in die Zukunft blicken.
Rückgrat waren die kleinen und mittleren Häuser
Interview mit Prof. Dr. Johannes Schmidt, Vorstand der LAKUMED Kliniken und Chefarzt der Chirurgischen Klinik I an den Krankenhäusern Landshut-Achdorf und Vilsbiburg.
Link zum Video: https://youtu.be/OSB24--GUWM.
-
Rückgrat waren die kleineren und mittleren Häuser
Fünf Jahre Corona: Was bleibt zurück, was haben wir gelernt, Prof. Dr. Johannes Schmidt?
Der Tod gehört zur bitteren Realität in jedem Krankenhaus und auf jeder Intensivstation. Diesen jedoch in Würde begehen zu können, war während der Corona-Pandemie nicht immer möglich. So wurde Angehörigen der Zugang zu ihren verstorbenen Liebsten aus Gründen des Infektionsschutzes verwehrt – ein unmenschliches Bild, welches sich auch bei Prof. Dr. Johannes Schmidt, Vorstand der LAKUMED Kliniken und Chefarzt der Chirurgischen Klinik I an den Standorten Landshut-Achdorf und Vilsbiburg, eingebrannt hat. „Ich habe letztlich dreimal geschluckt, mich darüber hinweggesetzt und den Abschied zugelassen. Wo bitte soll sich jemand anstecken, wenn der Betroffene nicht mehr atmet? Es ist das Recht eines jeden, sich zu verabschieden. So unmenschlich dürfen wir nicht sein!“, berichtet der erfahrene Chirurg von einer spezifischen Situation, die auch ihn emotional mitnahm. Im Interview spricht Prof. Dr. Schmidt ferner über die Krux der Vorhaltung, die verbesserte Vorbereitung auf pandemische Ereignisse und die strukturell unzureichende Finanzierung des Gesundheitssystems.Was sind die ersten Bilder, die Ihnen durch den Kopf schießen, wenn Sie an die Hochphasen der Corona-Pandemie zurückdenken?
Prof. Dr. Johannes Schmidt: Ich verstehe italienisch und sah in den Nachrichten ein Interview mit einer Oberärztin der Inneren Medizin aus Bergamo, die ihre Eindrücke schilderte. Mir hat es das Herz zerrissen, diese Frau war am Ende und diese Ohnmacht hat sich bei mir eingebrannt.Warum haben wir aus diesen Jahren verhältnismäßig wenig gelernt? Zwar wurde die Infrastruktur in den meisten Häusern verbessert, jedoch wurde der Weckruf für eine auskömmliche Finanzierung des Gesundheitswesens gänzlich ignoriert. Gleichzeitig wurde die Krankenhausdichte während der Pandemie als essenziell deklariert, nun werden kleine Häuser infrage gestellt.
Prof. Dr. Johannes Schmidt: Es gibt mehrere Stränge, die es zu betrachten gilt, die Finanzierung auf der einen und die Vorhaltung auf der anderen. Ich möchte aber mit einem weiteren Aspekt beginnen: Die USA garantieren nicht mehr wie gewohnt für unsere Sicherheit und Deutschland muss im Falle einer Beteiligung an kriegerischen Handlungen 1.000 Verletzte täglich aufnehmen können. Das ist mit einer Reduktion der Krankenhausbetten nicht zu leisten. Das Rückgrat der Behandlungen während der Corona-Pandemie waren die kleinen und mittleren Krankenhäuser, die besonders schweren Fälle gingen an die großen Häuser. Folgt man dieser Argumentation, muss man die Krankenhausdichte entsprechend beibehalten, aber wie sieht es ohne Pandemie, ohne außergewöhnliche Belastungen aus? Schließlich wissen wir nicht, wann uns das nächste pandemische Ereignis blüht und welche technischen oder medikamentösen Möglichkeiten dann bereitstehen. Angesichts der aktuellen Finanzierungslage der Krankenhäuser ist allerdings eine präemptive Vorhaltung dieser Betten – auch wenn sinnvoll – nicht mehr möglich.Ein weiteres Bild der Pandemie war das berüchtigte Klatschen an den Balkonen, die Wertigkeit des klinischen Settings schien enorm gestiegen. Wo ist diese positive Dynamik abgeblieben?
Prof. Dr. Johannes Schmidt: Ich empfand das Klatschen als affig, wenngleich es natürlich auch nicht falsch war als Mittel, Dankbarkeit auszudrücken. Die positive Dynamik wurde an einem anderen Punkt verloren: Wenn wir uns an diese Zeit erinnern, stoßen wir nämlich auch auf die Impfpflicht für Beschäftigte des Gesundheitswesens. Die Mitarbeitenden wurden also zur Impfung gezwungen, während gleichzeitig Ungeimpfte mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus kamen und die Gesundheit der Mitarbeitenden gefährdeten. Diese Maßnahme hat unter anderem den Pflegeberuf unattraktiv, ja sogar gefährlicher gemacht. Entweder eine Pflicht für alle oder eine Pflicht für niemanden.Haben wir dann zumindest als Gesellschaft etwas gelernt oder sind die Errungenschaften der Infektionsprävention längst wieder verflogen?
Prof. Dr. Johannes Schmidt: Was in dieser Pandemie klargeworden ist: Wenn es zu einer derartigen Situation kommt, ist eine Eindämmung nur mit radikalen Maßnahmen möglich. In einem Land wie dem unseren, in einer Demokratie, in der man sich vieles erlauben kann, kam es also zu maximalen Einschränkungen, die nur mittels einer Impfung erleichtert wurden. Entsprechend ist hängengeblieben, dass ich damit nicht nur mich, sondern auch andere schütze. Ob die langfristige Wirkung der Pandemie in dieser Hinsicht gesellschaftlich eine positive ist, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt jedoch statistisch nicht feststellen, da wir uns noch in einer Zeit der Blockade befinden, dafür braucht es mehrere Jahre Abstand. Ich setze dabei vor allem auf die jüngere Generation, die am meisten unter den Einschränkungen zu leiden hatte und eine derartige Situation nicht noch einmal erleben möchte.Kommen wir zu einem Aspekt aktueller politischer Prozesse zurück. Als Chefarzt in Landshut-Achdorf und Vilsbiburg haben Sie Einblick in ein mittleres und ein kleines Krankenhaus. Wo lagen in der Corona-Zeit die konkreten Unterschiede und welche Learnings lassen sich daraus ableiten?
Prof. Dr. Johannes Schmidt: Die Unterschiede zwischen Landshut und Vilsbiburg waren nicht groß, die etwas schwereren Fälle wurden in Landshut-Achdorf behandelt, wenngleich auch in Vilsbiburg erfolgreich beatmet wurde. Inhaltlich agierten die beteiligten Kräfte LAKUMED weit gleich, räumlich bestand in Vilsbiburg aus baulichen Gründen dagegen keine Möglichkeit der räumlichen Abtrennung, da der Neubau der Intensivstation noch nicht fertiggestellt war. Der Punkt ist: Das Rückgrat der Bewältigung der Pandemie waren die kleinen Krankenhäuser, die großen Kliniken konnten nur abseits der Corona-Patienten arbeiten, weil wir vieles von ihnen weggehalten haben.Wären wir unter Betrachtung der Infektionsprävention, der Einsatzpläne und der noch dünneren Personaldecke in allen relevanten Bereichen 2025 genauso unzureichend vorbereitet wie 2020?
Prof. Dr. Johannes Schmidt: Nein, 2020 hat uns die Pandemie wie im Schlaf getroffen, es gab keine entsprechenden Regelungen. Wir kannten eine derartige Situation und die Erkrankung so noch nicht, in Italien sind die Gesundheitssysteme ja zunächst sogar mehr oder weniger implodiert. All diese Abläufe, die wir im Laufe der Pandemie entwickelt haben, sind nun in der Schublade und wir sind darauf vorbereitet. Man weiß nie, welche Art der Pandemie auf uns zukommen könnte, aber wir sind zumindest in den Abläufen deutlich weiter, aber auch schneller und sicherer geworden.Gleichzeitig haben rund ein Drittel der Intensivpflegekräfte, die diese Zeit miterlebt und entsprechendes Know-How aufgebaut haben, ihrem Beruf inzwischen den Rücken gekehrt.
Prof. Dr. Johannes Schmidt: Die intensivmedizinische Arbeitsweise hat sich im Rahmen der Pandemie abseits der Kompartimentierung nicht allzu deutlich verändert. Auf den Normalstationen ist dieser Verlust an Erfahrungen etwas Anderes, dort wiegen die Abgänge der Pflegekräfte in dieser Hinsicht schwerer, da die während der Pandemie notwendigen Abläufe nicht annähernd dem Normalzustand dieser Stationen entsprochen haben.Die personelle Ausstattung der Kliniken gestaltet sich insbesondere seit der Corona-Pandemie als schwierig. Wie ließe sich die Attraktivität einer Tätigkeit im klinischen Setting – egal ob in der Therapie, Pflege oder im ärztlichen Dienst – mittelfristig wieder steigern oder sind selbst Sie ob dieser Herausforderung ratlos?
Prof. Dr. Johannes Schmidt: Es gäbe schon ein paar Punkte. Erstens Gleichbehandlung: Es kann nicht sein, dass eine Gruppe, die sich beruflich dem Risiko infizierter Patienten aussetzt, zu etwas gezwungen wird. Zweitens: Jüngere haben eine andere Blickweise auf ihre Arbeit. Work-Life Balance entsteht aber nicht durch eine Vier-Tage-Woche, sondern für jeden individuell. Entsprechend müssen wir attraktive Arbeitsumgebungen schaffen. Eine Pflegekraft, die am Wochenende frei hat, möchte nicht angerufen werden und nicht einspringen müssen. Auch eine Steuerbefreiung für Bereitschaftsdienste wäre notwendig. Drittens: Pflegekräfte wollen und sollten nach vierzig Jahren Tätigkeit ohne Abzüge in Rente gehen dürfen.Ein kleiner Exkurs zum Abschluss: Hat die Fusion der Landshuter Krankenhäuser angesichts dieser sich überlagernden Rahmenbedingungen überhaupt die Chance, das Schiff der regionalen Gesundheitsversorgung wieder ins Lot zu bringen?
Prof. Dr. Johannes Schmidt: Zunächst entsteht ein Vorteil gegenüber anderen Krankenhäusern: Wir haben deutlich mehr Reaktionsstärke hinsichtlich der geplanten, sogenannten Leistungsgruppen, weil wir uns parallel in der Erarbeitung einer gemeinsamen Medizinstrategie befinden. Die Fusion führt zu einem Großanbieter im Gesundheitswesen, den man nicht einfach wegrationalisieren kann. Das Problem der Finanzierung löst sich durch die Fusion aber nicht in Luft auf: Legt man beispielsweise zwei Abteilungen an einem Standort zusammen, muss die dann verbleibende Behandlungseinheit vergrößert werden. Es muss also zunächst deutlich investiert werden und es wird kurzfristig nichts eingespart. In zehn Jahren wird sich diese Situation womöglich nivellieren, aber vom derzeitigen jährlichen Defizit werden wir auch dann höchstens 10 bis 15 Prozent abbauen können. Ohne eine substantielle Änderung im System der Finanzierung wird dieses Defizit also nicht verschwinden. Wo Automobilkonzerne ihre Preise erhöhen, können wir nämlich nicht selbstständig den Tagestarif an die Notwendigkeiten anpassen, das muss zentral geschehen.
Ausnahmen sind hier die Regel
Interview mit Paola Eiba-Leyer, Funktionspflegedienstleitung der LAKUMED Kliniken.
Link zum Video: https://youtu.be/rJHSsUU5oFo.
-
Ausnahmen sind hier die Regel
Fünf Jahre Corona: Was bleibt zurück, was haben wir gelernt, Paola Eiba-Leyer?
Klinische Funktionsbereiche sind quasi dauerhaft im Ausnahmezustand. In der Pflege greifen gewisse Schemata, die in Notfallsituationen angewendet und zur Regelhaftigkeit des Betriebs von Intensivstationen und Notaufnahmen werden. Struktur und Stringenz vermitteln die nötige Sicherheit für die Mitarbeiter und sorgen so für eine gute Umgebung für Mitarbeitende und Patienten gleichermaßen. Diese Notfall-Schemata waren dabei auch während der Corona-Pandemie durchaus anwendbar, wenngleich die große Unbekannte Covid19 zunächst auch bei erfahrenen Fachkräften Ängste und Unsicherheiten auslöste, wie Paola Eiba-Leyer, Funktions-Pflegedienstleitung der LAKUMED Kliniken verrät. „Das war besonders herausfordernd, da wir als Führungskräfte selbst unsicher waren und trotzdem Ruhe und Besonnenheit vermitteln mussten“, gibt sie Einblick in ihre eigene Gefühlslage zu Beginn der Pandemie und spricht im Interview ferner über das Fremd- und Selbstbild der Pflege, veränderte Arbeitsabläufe und die personelle Dezimierung der Funktionsbereiche.In der öffentlichen Wahrnehmung wurde während der Pandemie häufig die physische und psychische Dauerbelastung der Intensivfachkräfte herausgestellt. Wie schwer wog diese Zeit rückblickend jedoch wirklich? Speziell als der Druck wieder abfiel und die Normalität langsam zurückkehrte.
Paola Eiba-Leyer: Man war lange auf der Hut, da über die Wintermonate immer wieder und auch weiterhin die entsprechenden Fälle auftauchen. Auf der Intensivstation sind mit der Rückkehr zur Normalität viele Pflegekräfte raus aus dem Berufsfeld, raus aus dem Schichtsystem, raus aus der Patientenbetreuung. An einem solchen Punkt waren wir zuvor in dieser Menge an Kündigungen nie. Das ist eine Herausforderung der neuen Normalität, die auch bis heute anhält.Welche Maßnahmen ergriffen Sie in Ihrer Rolle als Pflegedienstleitung, um die verbleibenden Mitarbeitenden in dieser schweren Zeit bei Laune zu halten?
Paola Eiba-Leyer: Die Stimmung ist wieder ganz gut. Durch die nicht immer positive Aufmerksamkeit und mediale Präsenz wurde der Pflegeberuf, speziell die Intensiv- und Notfallpflege, während der Pandemie zwar sichtbarer, aber nicht attraktiver. Nun versuchen wir verstärkt auf Wunschdienstpläne zu setzen, bieten verschiedene Modelle zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie an, beispielsweise die Teilzeitausbildung, oder stellen ein umfassendes Fort- und Weiterbildungsprogramm zur Verfügung. Nichtsdestotrotz müssen wir unseren Betrieb 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr aufrechterhalten. Die Individualität der Mitarbeitenden und das Gesehen-Werden versuchen wir aber weiter in den Vordergrund zu rücken.Wie veränderte sich gleichzeitig also das Fremdbild der Intensiv- und Notfallpflege? War die Corona-Pandemie rückblickend Werbung für den als stets so essenziell herausgestellten Berufszweig oder schreckte die ständige Visualisierung der Überbelastung potentielle Interessenten eher ab?
Paola Eiba-Leyer: Es wurden vor allem die negativen Aspekte herausgearbeitet. Wir waren nicht Bergamo, wir hatten keine Schwerstfälle, bei uns war die Situation gut, wir erfuhren viel Unterstützung seitens ehemaliger Pflegekräfte oder der Bundeswehr. In dieser Informationsflut konnten jene positiven Augenmerke aber nicht mehr aufgenommen werden. Das hat es uns im Nachhinein sehr schwer gemacht, das Fremdbild der Intensiv- und Notfallpflege wieder ins Lot zu bringen.Andersherum gedacht: Wie hat sich das Selbstbild der Pflegenden während der Corona-Pandemie verändert? Gab es auch einen gewissen Stolz, diese Zeit gemeinsam durchgestanden zu haben?
Paola Eiba-Leyer: Ja, dabei sind gerade die Fachkräfte der Intensivstation und der Notaufnahme auf Stresssituationen und flexible Lösungsfindung vorbereitet. Natürlich kommt im Rückblick auf die Pandemie dann auch ein wenig Stolz auf das Geleistete auf. Während dieser Zeit waren auch alle zur Stelle: Wir hatten wenige Krankheitstage, wenige Überlastungsausfälle, haben für genügend Pausen und Entlastungsgespräche gesorgt. Schließlich war die Versorgung der Patienten während der Pandemie physisch aufgrund der Schutzkleidung und psychisch aufgrund der vakanten Hilfe durch Angehörige besonders fordernd. Diese Leistungen sind jedoch nicht entsprechend in der Bevölkerung angekommen.Den Gedanken weitergeführt: Welche zunächst erzwungenen Veränderungen in den Arbeitsabläufen der Pflege haben sich als fruchtbar herausgestellt und wurden nur aufgrund der Pandemie nun in den Alltag integriert?
Paola Eiba-Leyer: Gerade aufgrund der teilweise begrenzten Verfügbarkeit von Medikamenten während der Pandemie haben wir im Zusammenspiel mit der Pflege gelernt, flexibel und schnell zu reagieren und die Wechselintervalle anzupassen. Auch die Effektivität innerhalb eines Raumes hat sich erhöht, da Raumwechsel während Covid deutlich aufwändiger waren. Die Arbeitsabläufe sind allgemein einfach nochmal stringenter und klarer geworden, um die Schutzsituation auch aufrechterhalten zu können.Strukturell gingen ebenfalls einige Learnings aus der Pandemie hervor. Wie haben sich diese beispielsweise auf die räumliche Ausgestaltung der Neubauten der Intensivstationen in Vilsbiburg und Landshut-Achdorf ausgewirkt?
Paola Eiba-Leyer: Für beide Neubauten wurden anhand dieser Erfahrungen Einzelboxen und viele geschleuste Zimmer eingeplant. In den Altbauten mussten schließlich viele Zwischenwände eingezogen werden, die die Räume schlussendlich dunkel und unübersichtlich werden ließen. Entsprechend haben wir die Pläne auch an die bestmöglichen Arbeits- und Behandlungsabläufe für Patienten und Mitarbeitende angepasst.Waren Sie in der Corona-Pandemie plötzlich auch Ansprechpartnerin für andere Stationen? Schließlich waren die Herausforderungen der Kompartimentierung von Patienten für die Intensivstation bei weitem nicht so neu wie für viele Normalstationen.
Paola Eiba-Leyer: Wir waren speziell bei den Schulungen zu Beginn eng mit der Anästhesie und anderen Bereichen verknüpft, um diese bei diesen Herausforderungen zu unterstützen. Darüber hinaus wurde im Haus eine Isolations-, beziehungsweise Infektionsstation eingerichtet, mit der wir hinsichtlich der veränderten Arbeitsabläufe und den Materialen immer eng im Austausch standen.Die personellen Abgänge wiegen weiter schwer, auch wenn viele Stellen mittlerweile nachbesetzt werden konnten. Wie lange dauert es dennoch, bis das verlorene Know-How gänzlich ersetzt ist?
Paola Eiba-Leyer: Es sind viele erfahrene Fachkräfte mit mehr als 15 Jahren Berufserfahrung und den entsprechenden Fachweiterbildungen weggebrochen. Es ist schwer zu sagen, wann dieser Verlust kompensiert ist. Eine solche Zahl an Personen innerhalb weniger Jahre zu ersetzen, ist allerdings unrealistisch, denn die notwendige Erfahrung kommt erst mit der Zeit. Wir wurden aber definitiv um viele Jahre zurückgeworfen.
Die stressigste Zeit des Arbeitslebens
Interview mit Dr. Sieglinde Eder, Leitung der Krankenhaushygiene der LAKUMED Kliniken.
Link zum Video: https://youtu.be/D1EzcU6NUQs.
-
Die stressigste Zeit des Arbeitslebens
Fünf Jahre Corona: Was bleibt zurück, was haben wir gelernt, Dr. Sieglinde Eder?
Freie Tage waren für Dr. Sieglinde Eder, Ärztliche Leitung der Krankenhaushygiene der LAKUMED Kliniken, während der Corona-Pandemie ein Fremdwort. Die durchgehende Erreichbarkeit und das enorme Arbeitspensum forderten ihren Tribut, doch Dr. Sieglinde Eder hielt durch: „Man arbeitet ja nicht nur für sich, sondern auch für die Kollegen, für die Patienten und für ein großes Ganzes“, beschreibt die Krankenhaushygienikerin und Fachärztin für Chirurgie das Berufsethos, welches sie stets motivierte, ihr Know-How und ihre gesamte Zeit zum Schutz und zum Wohle der Betroffenen einzusetzen. „Da wir auf einer schmalen personellen Basis standen, war für mich völlig klar, dass Durchhalten die einzige Option ist.“ Ferner spricht Dr. Sieglinde Eder in der Corona-Nachlese über einen Tiefflug nach Regensburg, die positiven Lerneffekte der Pandemie und die mittlerweile vorherrschende frustrierende Sorglosigkeit.Was sind die ersten Bilder, die Ihnen durch den Kopf schießen, wenn Sie an die Hochphasen der Corona-Pandemie zurückdenken?
Dr. Sieglinde Eder: Ich möchte zwischen den Bildern und Erinnerungen unterscheiden. Die Bilder beginnen bei mir bei den Geschehnissen in Norditalien Anfang 2020 mit rapide steigenden Todesfällen. Diese waren für mich das eindeutige Zeichen, dass wir uns maximal aufstellen müssen. Explizit eingeprägt hat sich stellvertretend für viele Eindrücke ferner die Angst in den Gesichtern der Mitarbeiter im Rahmen der Vorbereitung auf die Pandemie. Es wurden Ängste formuliert, die mir sehr nahegingen. In diesen Fällen spürte ich auch die besondere Verantwortung der Hygiene, die Mitarbeitenden zu schulen, aber auch die Schutzmaßnahmen und den Glauben an die Effektivität zu vermitteln. Eine Erinnerung, die sofort wieder zurückkehrt, ist das Bangen und Beten um einen Kollegen, der lebensbedrohlich erkrankte. Aber ich möchte auch etwas Positives nennen: Den Zusammenhalt und die Bereitschaft, wirklich mitzuhelfen und sich einzubringen, beispielsweise spontan Schutzbrillen im Baumarkt aufzukaufen, diese besondere Art der Verbundenheit bleibt auch über Corona hinaus erhalten.Gunthard Goresch berichtete in Bezug auf den ersten Corona-Verdachtsfall im Krankenhaus Landshut-Achdorf von einer besonderen Geschichte, an deren Ende Sie mit dem Test in Ihrem Privatwagen die Reise nach Regensburg antraten. Wie haben Sie diesen Tag in Erinnerung?
Dr. Sieglinde Eder: Dieser Fall ereignete sich kurz nachdem in der Nähe von München die ersten bestätigten Corona-Infektionen in Deutschland bekannt wurden. Es handelte sich um einen Mitarbeiter eines Automobilzulieferers, der sich in China aufgehalten hatte und am Ankunftstag eindeutige grippale Symptome entwickelte. Er dachte jedoch gut mit und rief zunächst bei uns an, erläuterte uns seine Vorgeschichte, wodurch wir uns vorbereiten konnten. Zu diesem Zeitpunkt waren wir allerdings schon recht gut aufgestellt, da mit den ersten deutschen Fällen bei mir alle Alarmglocken geläutet hatten: Ablaufschemata waren schon entwickelt, Schutzausrüstungen bestellt und die Mitarbeitenden gebrieft. Anhand dieses Falles konnten wir dieses Schema live auf den Prüfstand stellen. Es war aber – wie es immer so ist – ein Freitag und ich musste eine Stelle finden, die den Test auswerten konnten. Die Stellen in München waren aufgrund einer Krisensitzung allerdings nicht erreichbar und ich erhielt den Tipp, dass auch die Uniklinik Regensburg zur Verfügung stünde, dort musste der Test jedoch bis um 12 Uhr eingetroffen sein. Da es schon 11 Uhr war, habe ich mir mein Auto geschnappt und bin über die Gott sei Dank unbeschränkte B15neu im Tiefflug nach Regensburg geschossen. Um 11:55 gab ich das Röhrchen ab und am Abend kam der erlösende Anruf, dass der Test negativ ausgefallen war. Es war ein aufregender Tag, der die damalige Situation aber eben sehr gut abbildet.Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie viel Improvisationskunst gerade zu Beginn der Corona-Pandemie gefragt war, in der öffentlichen Wahrnehmung wurde gleichzeitig häufig über ein gewisses Chaos berichtet. Wie viel Ratlosigkeit herrschte in dieser Zeit jedoch wirklich?
Dr. Sieglinde Eder: Völlig ratlos waren wir nie. Wir waren im Krisenstab ein gutes Team, es wurden viele Ideen aus allen Bereichen eingebracht. Wir hatten aber auch viel vorausgedacht, haben uns mit Problemen schon einige Wochen vor deren Eintreten auseinandergesetzt. Mir war nämlich schnell klar, dass eine riesige Welle auf uns zurollt und entsprechend verschiedenste Ressourcen knapp werden würden. Eine ganz andere Kategorie war dann der erste große Ausbruch: Wir mussten viele Aufgaben der öffentlichen Gesundheitsdienste übernehmen, um beispielsweise eine zeitnahe und effektive Kontaktnachverfolgung zu gewährleisten und so zur Eindämmung beizutragen. Diese Strukturen haben wir zusätzlich zum Hygienemanagement geschaffen, ich war zu dieser Zeit sieben Tage die Woche erreichbar und habe alle Befunde geführt und gelistet. Das war heftig und wir standen teils auch mit dem Rücken zur Wand, speziell als im Winter 2020/21 die Zahlen explodiert sind. Da kam in mir die Frage auf, wie lange ich das noch durchhalte.In den Funktionsbereichen mussten innerhalb weniger Wochen aufwändige Umbauarbeiten vollzogen werden. Konnten damit alle vom RKI kommunizierten Hygienestandards eingehalten werden oder musste man ein Auge zukneifen?
Dr. Sieglinde Eder: Die Realität war vielmehr, dass das RKI der Situation mit seinen Empfehlungen eigentlich immer hinterhergehinkt ist. Die Veröffentlichungen waren nicht an die tatsächlichen Gegebenheiten angepasst. Zunächst hieß es beispielsweise, Corona-Patienten dürften nur geschleust und in Unterdruck geführt untergebracht werden. So etwas hatten und haben wir nicht. Wir haben selbst Konzepte und Standards entwickelt, wie wir damit umgehen, wenn wir die Patienten nicht den Empfehlungen entsprechend abverlegen können. Es ging also immer darum, die bestehenden Notwendigkeiten in den vorhandenen Räumlichkeiten bestmöglich umzusetzen. Unsere Aufgabe als Hygiene war es dabei auch, Vorgaben zu priorisieren und die Maximalanforderungen auf unsere Möglichkeiten und die personelle Ausstattung herunterzubrechen. Wir haben uns daher beispielsweise entschieden, auf die Schutzausrüstung zurückzugreifen, deren Umgang das Gros der Mitarbeitenden schon kannte, und die Zeit gab uns auf diesem Weg auch recht.Wir wollen uns aber nicht nur über das was war, sondern auch über die Auswirkungen auf die Gegenwart unterhalten. Welche strukturellen und baulichen Folgen hatten die Erfahrungen der Pandemie? Zog diese Zeit also auch etwas Gutes nach sich?
Dr. Sieglinde Eder: Positiv ist die Entwicklung, bei baulichen Maßnahmen auch Infektionsfälle verstärkt zu berücksichtigen. Wir konnten dadurch bereits drei Isolationszimmer für die Notaufnahme als Einzelboxen etablieren, um potentiell infektiöse Patienten präventiv und adäquat unterbringen zu können. Auch in der Führungsebene ist das Wort der Hygiene etwas wert, denn diese Abstimmungen im Krisenstab haben wirklich sehr gut funktioniert. Andererseits hat das Pendel der Hygienemaßnahmen mit Abflauen der Pandemie im Haus und auch außerhalb fast etwas auf die Gegenseite ausgeschlagen: Es herrscht eine unglaubliche Sorglosigkeit und wenig Bereitschaft zur Einhaltung notwendiger Hygienestandards. Dass viele Themen aus den Köpfen verschwunden sind, kann man durchaus nachvollziehen, da Corona lange Zeit unsere Arbeit und unser Leben bestimmt hat, aber auch die Bereitschaft hinsichtlich einfacher Standards ist aktuell auch beim Personal sogar geringer als vor der Pandemie. Das ist sehr frustrierend.Wären wir aus Sicht der Hygiene 2025 also besser auf eine Pandemie vorbereitet als wir es 2020 waren oder wäre ebenso viel Improvisation gefragt?
Dr. Sieglinde Eder: Wir haben unsere Konzepte natürlich nun in der Schublade, die wir rasch anpassen könnten. Gerade für andere hochinfektiöse Erkrankungen, beispielsweise hämorrhagische Fieber wären wir also fachlich gut gerüstet und auch die Strukturen der Pandemie ließen sich wieder auf die Beine stellen. Personell herrschte während Corona ein wahnsinniger Zusammenhalt, jedoch gab es inzwischen so viel Wechsel und Unruhe, sodass dieser Schulterschluss wohl nicht mehr in diesem Maße reproduzierbar wäre. Schwer abzuschätzen ist dagegen die zentralisierte Materialbeschaffung, deren Verbesserung stets politisch beteuert wurde. Ebenso verhält es sich mit der personellen Aufstellung der öffentlichen Gesundheitsdienste, die während Corona noch wie aus der Zeit gefallen mit Fax und Ähnlichem agierten und viele ungelernte Mitarbeiter einstellen mussten.